Reiherstieg, Rethe und Wilhelmsburgs Westen – Die Elbinsel zwischen Steinwerder und Harburg.

Sommer 2014 (und ein bisschen 2015): Fotografische Mitbringsel von mehreren Touren durch den westlichen Bereich der Wilhelmsburger Elbinsel zwischen frühmorgens und spätabends.

Grobe Struktur: Von Norden nach Süden.

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Alter Elbtunnel

„Einstieg“ in den Hafen: Der Alte Elbtunnel, der seit über 100 Jahren seinen Dienst versieht und St. Pauli mit Steinwerder auf der Südseite der Norderelbe verbindet, dient auch zum Start einer Tour durch Steinwerder in Richtung Wilhelmsburg.

Kammern des Alten Elbtunnels

Eine der vier großen Kammern des Autoaufzugs, die sowohl für Pferdefuhrwerke, als auch für Kraftfahrzeuge konzipiert wurden und die noch heute in Betrieb sind.

Fahrstuhlschächte

Einer der großen Fahrstuhlschächte. Ganz rechts der Personenaufzug.

Technik des Alten Elbtunnels

Wesentliche Teile der alten Technik wurden seit den 1990er-Jahren modernisiert.

Alter Elbtunnel

Eine Fahrstuhlkabine von oben. Zwischen 1959 und 1993 gab es zusätzlich zu den Treppen und Fahrstühlen auf jeder Seite des Tunnels Rolltreppen für Fußgänger.

Die Tunnelsohle verläuft nicht waagerecht, sondern erreicht ihren tiefsten Punkt etwa auf halbem Weg zur anderen Seite.

Im Hintergrund sind die Lichter eines Autos zu sehen, das sich auf dem Weg durch den Tunnel befindet. Für Fußgänger ist der Tunnel bei molligen Hochsommer­temperaturen eine erfrischende Wohltat.

Die tiefste Stelle. Hier fällt der Unterschied einer gewissen Arbeitshaltung ins Auge: Als vor über 100 Jahren der Tunnel gebaut wurde, verstanden es alle Beteiligten, ihre Aufgabe mit handwerklichem Können und Liebe zum Detail auszuführen. Wie aber ist das neue Fußgänger-Schild angebracht: Viel zu dicht an der historischen Tafel mit den beschrifteten Kacheln, einfach mit einer hässlichen Platte an die Wand geschraubt und dann auch noch schief. Wie kann so etwas passieren? Blindes Befolgen von Anweisungen, gepaart mit dem Fehlen von selbständigem Denken und jeglicher ästhetischen Sensibilität? (Andererseits: Ohne dem schiefen Schild fehlte diesem Foto ein Blickfang.)

Am Ende des Tunnels werden Autofahrer eingewiesen (in die Fahrstuhlkabinen).

Sommermorgendlicher Blick auf das östliche Tor der Grevenhofschleuse, vom Reiherdamm gesehen. Die zwischen 1898 und 1901 gebaute Schleuse verbindet den Kuhwerder Hafen mit dem Steinwerder Kanal und dem Reiherstieg (Melhop 1925, S. 131). Sie steht seit 2009 unter Denkmalschutz (HA 17.09.2009).

Diesen schnuckeligen Weg zwischen Roßdamm und Roeloffsufer, entlang des Travehafens, erwartet man nicht im Gewerbegebiet des Hafens (in Richtung Norden gesehen).

Eine Distel-Knospe am Roeloffsufer.

Der Hamburger Hafen - das Brombeerparadies. Blick in das Becken des Travehafens.

Das Roeloffsufer des zwischen 1912 und 1920 gebauten Travehafens hat niemals eine Kaimauer erhalten. Die Schiffe machen an Dalben und Landungsanlagen fest. In den Jahrzehnten um 1900 war es üblich, dass Hafenbecken zunächst Böschungen erhielten und nur bei Bedarf nach und nach mit Kaianlagen nachgerüstet wurden. Einfache Böschungen mit Dalben waren erheblich billiger als Kaimauern, weshalb man diese Lösung manchmal auch dauerhaft bevorzugte.

Diese Brücke führte mal wohin.

Grünzeug an Pfählen im Wasser.

Das Roeloffsufer im Abendlicht: Böschung und Reste eines früheren Anlegers in der südöstlichen Ecke des Travehafens.

Hier Lokführer zu sein, muss Spaß machen.

Die schweifenden Gedanken werden kurz vor dem Überqueren der Gleise von einem lauten Hupen abrupt unterbrochen.

In Wilhelmsburg angekommen: Die kleine Friedhofskapelle wurde 1902 im neugotischen Stil gebaut. Aber schon seit der Sturmflut 1962 fanden auf dem umgebenden Friedhof keine Beisetzungen mehr statt und 1988 entwidmete man die Kapelle gemeinsam mit dem Friedhof. 2007 wurde das Bauwerk im Vorfeld der „Internationalen Gartenschau 2013“ (igs) saniert, um es als Raum für Veran­stal­tungen nutzbar zu machen (HA 18.08.2007). Der Friedhof wurde umgestaltet und als Abschnitt „Welt der Religionen“ in das igs-Gelände eingegliedert.

Bemerkenswert ist, dass die alten Grabsteine des früheren Friedhofs stehen blieben und im heutigen Park integriert sind.

Moos auf alten Grabsteinen.

Kletterpflanzen zwischen den Teichen Kükenbrack und Mahlbusen im „Wilhelmsburger Inselpark“, dem ehemaligen Gelände der Internationalen Gartenschau 2013.

Blick senkrecht nach oben.

Alte Fabrikhalle an der Schmidts Breite, zugewachsen durch Brombeeren, Hopfen, Weißdorn und anderem.

Die Giebelseite der Halle.

Die Aurora-Sonne strahlt am blauen Himmel zwischen Schluisgrove und Schlengendeich.

Blick vom Kai der Aurora-Mühle auf die Getreidespeicher am Reiherstieg und an der Rethe. Links Klappen der neuen und ein Hubturm der alten Rethebrücke.

Kamillenblüten am Uferpark.

Die Rethespeicher, gesehen aus dem Uferpark, der auf einigen Karten mit „Reiherstiegpark“ benannt ist. Als Infra­struktur­maßnahme für die „Inter­nationale Garten­schau Hamburg 2013“ entstand der Park auf einem Gelände, das zuvor von Mineralölfirmen genutzt wurde. Vor Jahren standen auf dieser Grünfläche und in der Umgebung große Öltanks.

Die schneeweiße Kante des Weges durch den Park macht sich als Projektionsfläche für den Schattenwurf der Pflanzen sehr gut.

Zu diesem Zeitpunkt dachte ich noch, die Wildkräuter seien gewollt und freute mich über diese gute Idee. Aber wenige Tage später waren alle gejätet. Übrig geblieben ist ein Grün, das angepflanzt wurde und einen einheitlichen Bodenbedecker bildet.

Und nun ein Foto vom Ufer eines der vielen kleinen Nebenflüsse des Amazonas. Quatsch – das ist doch der Veringkanal.

Im Jahr 1896 wurde der 1650 Meter lange, 36 Meter breite und fast 3 Meter tiefe Veringkanal mit dieser Klappschleuse an seinem südlichen Ende gebaut (Reinstorf 1955, S. 271f; HA 09.11.2007). Er diente als Verkehrsweg für Industriebetriebe, die sich in Wilhelmsburg – damals noch preußische Landgemeinde – ansiedelten. In einer Auflistung aus dem Jahr 1906 werden zwölf Fabriken und Lagerplätze genannt, die ihren Sitz am Veringkanal hatten (Menge/Gehrkens 1906, S. 14ff). Im Süden mündet der Kanal in den Reiherstieg, im Norden ist er durch den „Kleinen Kanal“ (heute kaum mehr als ein Wassergraben) mit dem „Ernst-August-Kanal“ verbunden.

Die Tore von Hamburgs ältester handbetriebener Schleuse sind allerdings jüngeren Datums. Sie wurden schrittweise in den Jahren 1988, 1991, 1997 und 2007 in Holland originalgetreu nach dem Vorbild der alten Tore neu gebaut (HA 23.05.2007 und 09.11.2007).

Die Schieber zum Befüllen und Entleeren des Beckens sind unten in den Schleusentoren angebracht. Oben am Geländer ist die Mechanik zu erkennen, mit der die Schieber betätigt werden.

Dalben im Becken der Veringkanal-Schleuse

Da das Becken keine Kaimauern hat, machen die Schiffe beim Schleusen an den Dalben fest.

Der Kanal liegt in dem von der Terraingesellschaft „Vering'sche Grundstücke auf Wilhelmsburg“ Ende des 19. Jh. erworbenen Gebiet (Menge/Gehrkens 1906, S. 28). Im Auftrag der Gesellschaft wurde das frühere Wiesengelände aufgeschüttet und 1896 mit Hilfe des Kanals erschlossen.

Sperrwerk Vering-Kanal

Blick vom Schlengendeich auf das Sperrwerk zwischen dem Äußeren Veringkanal und dem Reiherstieg. Es wird geschlossen, wenn der Pegel auf ein Maß steigt, für das die alte Veringkanal-Schleuse nicht vorgesehen ist.

Silos vom „Getreide Terminal Hamburg“ (GTH) am Reiherstieg.

Der Veringkanal: Im Vordergrund eine Fußgängerbrücke in Verlängerung der Straßen „Alte Schleuse“ und „Beim Alten Wasserturm“, dahinter die Brücke des Gert-Schwämmle-Wegs (ursprünglich eine Eisenbahnbrücke mit Gleisen zur Wollkämmerei) und in der Ferne die „Neue Veringkanalbrücke“ mit der Neuhöfer Straße, die westlich (links) zur Reiherstiegbrücke führt. Noch vor einigen Jahren gab es anstelle der Fußgängerbrücke im Vordergrund eine Drehbrücke für Straßenverkehr – auf der linken Seite erkennt man den Sockel für das Drehgestell.

Wasserturm Wilhelmsburg

„Bis zum Jahr 1911 erhielt die Bevölkerung Wilhelmsburgs ihr Trinkwasser aus wenigen tiefen Brunnen bei und in ihren Häusern.“ (Reinstorf 1955, S. 281). 1910 baute die Gemeinde zwei Tiefbrunnen, ein Pumpenhaus und diesen 46 Meter hohen Wasserturm, der im November 1911 in Betrieb genommen wurde.

Der Veringkanal im Morgendunst.

Blick von der neuen „Fußgängerbrücke Veringkanal“ nach unten, wo sich das noch morgentrübe Himmelslicht im Wasser spiegelt.

Bei rechtzeitiger Anmeldung öffnet der Schleusenwärter die handbetriebenen Tore. Das kommt zur Zeit allerdings nur selten vor. Eine Durchfahrt kostet je nach Schiffsgröße ab 25 Euro (HA 26.07.2008).

Nur wenige hundert Meter von der Veringkanal-Schleuse entfernt befindet sich der Rest einer weiteren Schleuse. Sie isolierte den inneren Abschnitt des Schmidt-Kanals vom Tidenhub des Reiherstiegs – genau genommen vom Pegel des „Äußeren Schmidtkanals“, der damals ohne Sperrwerk als Tidekanal in den Reiherstieg mündete. Der ursprünglich 600 Meter lange innere Abschnitt des Schmidt-Kanals ist allerdings inzwischen zugeschüttet. Übrig geblieben ist nur das langsam zuwachsende und verschlickte Schleusenbecken – heute kaum mehr als ein sumpfiges Loch – sowie die Schleusentore in Richtung Reiherstieg. Ursprünglich hatte das 10 Meter breite Schleusenbecken eine Länge von 76 Metern (Menge/Gehrkens 1906, S. 30). Heute ist die Schleuse ohne Funktion, denn die Mündung des Äußeren Schmidtkanals in den Reiherstieg ist mit dem modernen „Sperrwerk Schmidtkanal“ abgedichtet. Der Schmidtkanal wurde etwa zeitgleich mit dem Veringkanal gebaut (Reinstorf 1955, S. 272).

Im Gegensatz zur Veringkanal-Schleuse wurde diese Anlage nicht restauriert. Auf dem Foto ist das niedrige landseitig und das höhere elbseitig ausgerichtete Tor zu erkennen. Warum gibt es auf jeder Seite des Beckens zwei Tore? Die beiden Flügel jedes Tores berühren sich in einem stumpfen Winkel. So werden sie vom Druck des Wassers, das sich auf der „spitzen“ Seite staut, zusammen­gepresst und abgedichtet. Damit das funktioniert, muss das Wasser auf der spitzen Seite höher stehen als auf der anderen. Daher befinden sich auf jeder Seite des Schleusen­beckens zwei Tore, die entgegen­gesetzt ausgerichtet sind: Eines, um einen höheren Pegel außerhalb des Beckens zurück­zuhalten, und ein zweites, um einem höheren Wasser­stand im Becken entgegen­zuwirken. So ist sicher­gestellt, dass immer eines der beiden Tore vom Wasser­druck abgedichtet wird. Und warum ist das elbseitige Tor wesentlich höher, als das land­seitige? Da der Wasser­stand im Kanal nicht sehr schwankt, können die ihm zugewandten Tore auf dieses Maß optimiert werden. Dagegen verändert sich der Pegel außerhalb des geschützten Kanal­abschnitts stark, denn der Reiher­stieg ist ein tide­offenes Gewässer und unterliegt dem Rhythmus der Gezeiten. Im Herbst und im Winter können Sturm­fluten die Wasser­massen zusätzlich stauen. Um auch solch extremen Wasser­ständen zu widerstehen, ist das Tor in Richtung Reiher­stieg entsprechend höher gebaut.

Nicht ohne Grund: Wer an der steilen Böschung ins sumpfige Schleusenbecken rutscht, versinkt im Hafenschlick, ohne auf schnelle Hilfe hoffen zu dürfen – wird aber vielleicht in hundert Jahren als Moorleiche geborgen und ins Museum gestellt.

Frühmorgens am Schlengendeich.

Blick vom „Sperrwerk Schmidtkanal“ in den äußeren Schmidtkanal, der in früheren Zeiten als tideoffener Verkehrsweg Industriebetrieben diente und auch für Seeschiffe zugänglich war. 1906 gab es hier eine Holzhandlung, eine Chemische Fabrik, eine Teerproduktionsfabrik sowie die Eisenkonstruktionsanstalt und Werft von E. H. Schmidt, dem Namensgeber des Kanals. In seinem Betrieb wurden „Eisenkonstruktionen für Hochbauten, Brücken und Wasserbehälter hergestellt, sowie Pontons und Schuten gebaut“ (Menge/Gehrkens 1906, S. 19, 30).

Getreidesilos auf der Hohen Schaar, am Reiherstieg. In diesem Bereich wurde das Gewässer in den 1930er Jahren auf Seeschifftiefe ausgebaggert.

Alt und Neu: Rechts ein Speichergebäude aus den späten 1930er oder frühen 40er Jahren mit fest installierten Saugvorrichtungen zum Löschen von Getreide aus Binnen- und Seeschiffen. Links modernere Silos mit zwei mobilen Getreidehebern.

Details der Saugvorrichtungen.

Die Hochwasserschutzmauer am Schlengendeich, entlang des Nordost-Ufers vom Reiherstieg. Blick in südöstliche Richtung.

Die Geschichte des 1622 fertiggestellten Schlengendeichs nahm einen turbulenten Anfang

Um 1620 bestand die heutige Elbinsel Wilhelmsburg aus drei großen, von Deichen umschlossenen Flussinseln:

Zwischen den beiden Inseln „Reiherstieg/Rotehaus“ und „Stillhorn/Schlüsgrove“ floss ein breiter, aber flacher Arm der Dove Elbe. Er soll so flach gewesen sein, dass man ihn bei Niedrig­wasser zu Fuß durch­queren konnte. Das nicht­ein­ge­deichte Außen­land zwischen den Inseln, beidseitig des Wasserarms – die „Bauwiese“ – wurde zum Weiden von Vieh, zum Ausheben von Deicherde und zum Stechen von Grassoden für den Deichbau verwandt. Durch Sedimentation und Aufschlicken beim Wechsel der Gezeiten „wuchs“ das ausgehobene Erdreich nach.

Anspruch auf die Nutzung der Bauwiese erhoben sowohl die Groten – ein Adels­geschlecht aus dem Fürstentum Lüneburg mit Ländereien auf den Elbinseln –, als auch die Bewohner Stillhorns. Von Seiten der Groten bestand bereits seit dem späten 16. Jahrhundert ein Interesse, die Bauwiese einzudeichen, also die beiden benachbarten Inseln mit zwei Querdeichen zu verbinden. Die Absicht von Otto Grote X., das Vorhaben in die Tat umzusetzen und das neu gewonnene Land in Besitz zu nehmen, führte 1617 zu einer Aus­einander­setzung mit den Still­hornern, die zunächst gewaltsam (mit einem Toten und mehreren Verletzten), später aber vor Gericht ausgeführt wurde und schließlich in einem Vergleich endete, der eine Nutzung des neuen Landes durch beide Parteien vorsah. In den Jahren 1621 und 1622 ließ Johann Grote den flachen Elbarm auf beiden Seiten schließen und auf diese Weise die Bauwiese trockenlegen.

Der südwestlich verlaufende Querdeich – zwischen Reiher­stieg und Schlüsgrove – wurde später „Schlengendeich“ genannt. Da dieser Abschnitt auch einen Teil des Vorlandes vom herzoglichen Vorwerk Schlüsgrove schützte, wurde vereinbart, dass im Fall eines Grundbruchs der Herzog den Groten mit „Busch, Pfählen und Handarbeit“ helfen sollte. Aber ein solcher Grund­bruch trat in den Jahren nach der Fertig­stellung des Deiches öfter auf als vom Herzog gehofft und 1634, nach dem bereits vierten Bruch, verweigerte der Herzog die Hilfe mit der Begründung, dass er selbst keinen Nutzen aus dem eingedeichten Land zöge. Erst nach Anrufung des Kaisers Ferdinand durch die Groten lenkte der Herzog ein und erfüllte seine Pflicht.

Die Deichpflege wurde vertraglich unter den Nutzern des eingedeichten Landes aufgeteilt. Die Still­horner trugen bis zur Eindeichung der Bauwiese die Verantwortung für die Erhaltung des Deichs südlich des nun abgedämmten Elbarms zwischen den Inseln. Weil dieser Deich nun keine Funktion mehr hatte, bekamen die Stillhorner andere Deich­abschnitte anvertraut, unter anderem den neuen Querdeich im Südwesten. Der hatte inzwischen den Beinamen „Schlingdeich“ erhalten und wurde wenig später „Schlenge“ genannt. Den Namen erhielt er wahrscheinlich aufgrund seines schlängelnden Verlaufs, der sich durch Umgehung von Prielen ergeben hatte. Früher konnten die Stillhorner den für Deichpflege benötigten Kleiboden der Bauwiese entnehmen, in der sich bei Hochwasser ständig neue Sedimente ablagerten. Nun mussten sie das Material aufwändig per Schiff von der Hohen Schaar heranschaffen, einer damals nicht eingedeichten flachen Elbinsel westlich des Reiherstiegs. Gegen Mitte des 17. Jahrhunderts rebellierten die Stillhorner, weil sie der Meinung waren, ihr Anteil an der Deichpflege sei zu groß. Zunächst vernachlässigten sie die „Schlenge“, dann stellten sie die Arbeit dort ganz ein. Daraufhin ließen die Groten den Deich auf eigene Kosten instandhalten und verlangten den ausgelegten Geldbetrag von den Stillhornern zurück. Diese verweigerten sowohl die Zahlung, als auch die weitere Pflege der „Schlenge“. Es entbrannte ein heftiger Streit zwischen den Groten und den Stillhornern, die vor Gericht unterlagen und aufgefordert wurden, ihre vertraglich dokumentierte Pflicht wieder aufzunehmen. Da sie sich immer noch weigerten, wurden sie mit Arrest, Gefängnis, Pfändungen und Anwesenheit von Soldaten unter Druck gesetzt. 1668 trat eine Kommission zusammen, um den Konflikt zu schlichten. Am Ende behielten die Stillhorner ihre Pflichten, hatten durch die teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen sowie Vandalismus durch Soldaten erhebliche wirtschaftliche Schäden einstecken müssen und wurden zu einer Zahlung von 4202 Talern an die Groten verpflichtet. Ob sie ihre Schulden jemals beglichen, bzw. dazu überhaupt in der Lage waren, scheint nicht überliefert zu sein.

Quellen:
Ernst Reinstorf: Die Eindeichung der Insel Wilhelmsburg. Auf Grund der Quellen. Zweite erweiterte Auflage. Verlag von A. J. Schüthe, Wilhelmsburg 1916. S. 44 ff, S. 49 ff.
Ernst Reinstorf: Geschichte der Elbinsel Wilhelmsburg von Urbeginn bis zur Jetztzeit. Verlag Buchhaus Wilhelmsburg Georg Romanowski, Hamburg 1955. S. 79 ff, S. 100 ff.

Die Krane für die Saugvorrichtungen ragen wie die angezogenen Beine einer Mantis religiosa in den blauen Himmel.

Blick in die andere Richtung: Der Reiherstieg, ein Arm der Elbe, verläuft im Wesentlichen in Süd-Nord-Richtung durch Wilhelmsburg. Im Bereich des Zusammenflusses mit der Rethe richtet sich sein Bett über eine Strecke von einigen hundert Metern mehr nach Westen aus. Dieser Bereich ist historisch gesehen nicht eindeutig dem Reiherstieg oder der Rethe zuzuordnen, gehört also quasi beiden Wasserläufen. Die Rethe ist ebenfalls ein Seitenarm der Elbe, der den Reiherstieg mit dem Köhlbrand verbindet und dabei die südlich liegende Elbinsel „Hohe Schaar“ von der ehemaligen Elbinsel „Neuhof“ im Norden trennt. Zwischen 1924 und 1926 wurde die Rethe begradigt, vertieft und schiffbar gemacht. Vorher war das Gewässer, vor allem im Bereich der Mündung in den Reiherstieg, ein flaches Sumpf- und Sandgebiet mit mehreren Flussinseln. Bei der Begradigung des Ufers wurden die flachen Inseln aufgeschüttet und mit der Hohen Schaar verbunden. Der Name einer großen Insel – „Blumensand“ – übertrug sich auf den Uferbereich der Hohen Schaar. Noch heute erinnert die Straße Blumensand an die Flussinsel am Zusammenfluss von Rethe und Reiherstieg.

Noch vor der Rethe-Hubbrücke im Hintergrund des Fotos biegt der Reiherstieg rechts in Richtung Norden ab. Unter der Brücke führt die Rethe weiter zum Köhlbrand.

Eine kleine Bemerkung: Ich verwende hier die Begriffe „Mündung“ und „Zusammenfluss“. Das ist nicht ganz richtig, da das Elbwasser ursprünglich in die andere Richtung floss und es sich hier mehr um eine Gabelung des Reiherstiegs handelte. Aber auch das stimmt nicht mehr, denn bereits 1904 wurde der Reiherstieg kurz vor seiner „Mündung“ in die Süderelbe durch eine Sperrschleuse versiegelt (Melhop 1925, S. 7) und seitdem bewegt sich das Wasser nur noch wenig im Rhythmus der Gezeiten in beide Richtungen durch Reiherstieg und Rethe.

Die Biegung des Reiherstiegs östlich des Zusammenflusses mit der Rethe.

Zwischen 1937 und 1940 wurden am Südufer der Rethe, bzw. des Reiherstiegs eine Reihe isoliert stehender Backsteinspeicher errichtet. Die Architektur wurde bewusst „den alten norddeutschen Speichern angepasst: Die Gebäude erhielten eine Backsteinverblendung und ein Satteldach aus roten oder schwarzen Pfannen. Die Giebelseite ist dem Wasser, die andere dem Lande zugewendet" (HusB 1953, S. 207). Die Speicher sind noch heute in Betrieb und wurden in den Jahrzehnten nach dem Krieg in mehreren Schritten durch modernere Silos ergänzt.

Bewuchs an der Wasserkante des Uferparks.

Aber wo sind die vielen blühenden Wildpflanzen geblieben, die noch vor zwei Wochen diesen Grünstreifen zierten? Alles ist ausgerupft bis auf das angepflanzte Grün.

Die sechs Baustufen des Rethespeichers sind gut auseinanderzuhalten: Vier ältere Backsteinbauten im Zentrum und zwei jüngere an den Seiten. Das kleine Backsteingebäude rechts und das übernächste links davon sind die frühesten. Die beiden ursprünglich baugleichen Speicher mit spitzen Giebeln wurden 1937 errichtet. In den 50er-Jahren entstand als erste Erweiterung das verbindende Element zwischen den beiden älteren Bauwerken. Offenbar kurz danach wurde das linke Backsteingebäude angefügt und dabei der Giebel des benachbarten älteren Teils verändert. In späteren Jahren kamen die beiden modernen Silos links und rechts vom Speicherkomplexe hinzu.

Der Brückenprüfer der Hamburg Port Authority (HPA) kommt an diesem Morgen als erstes Schiff vorbei.

Saugvorrichtungen am Rethespeicher.

Nett sind die violetten Blüten schon, aber die vielen gejäteten Wildkräuter waren noch schöner.

Das Luftlinie nur zwei Kilometer entfernt liegende neu gebaute Kohlekraftwerk Moorburg befindet sich noch im Probebetrieb. Block B wird nach Reparaturarbeiten gerade wieder hochgefahren und lässt mächtig Dampf ab.

Die (alte) Rethebrücke, eine Hubbrücke über den Elbarm „Rethe“, der sich diesseits der Brücke mit dem Reiherstieg vereint. Diese Brücke ist der einzige Weg für Seeschiffe in den Reiherstieg zu gelangen.

Nebenbei bemerkt – wie ist die Rethe zu ihrem Namen gekommen? Auf älteren Karten ist die Bezeichnung „In der Reyt“ oder „In der Reit“ zu finden. Das deutet darauf hin, dass der Elbarm früher mit Schilfrohr („Reet“) bewachsen war. Mit Reet wurde aber nicht nur die Pflanze bezeichnet, sondern allgemein eine sumpfige Landschaft, die mit allerlei Röhricht bewachsen war. Die Rethe war in den vergangenen Jahrhunderten ein breiter Elbarm, der aber viele flache Inseln, Sand- oder Schlickbänke enthielt und womöglich so flach war, dass er bei Niedrigwasser zum großen Teil trocken fiel. Vermutlich wurde sein Bild vom Röhricht geprägt, das an den Ufern und auf den Bänken wuchs. In den späten 1920er-Jahren änderte sich das Erscheinungsbild der Rethe radikal, als ihr Ufer begradigt und das Flussbett auf Seeschifftiefe ausgehoben wurde.

Der Reiherstieg heißt so, weil betrunkene Festival-Besucher vom Steg des Dockville-Geländes ins Wasser reihern. Doch – ganz bestimmt! Aber Spaß beiseite: Der Ausdruck „reihern“ kommt tatsächlich vom Reiher, weil er seinen Nachwuchs füttert, indem er halbverdaute Nahrung herauswürgt und den Kleinen vor die Füße legt.

Die Brücke in Aktion: Zwei niederländische Schlepper manövrieren den 2009 gebauten Massengutfrachter IS Trinity (IMO 9515565) rückwärts aus der Rethe in den Reiherstieg.

Brombeertriebe kriechen über den Asphalt.

Gleis der Hafenbahn unter der Neuhöfer Straße.

Leercontainer-Türme an der Witts Weide.

Die 1985 neu gebaute Reiherstieg-Klappbrücke führt die Neuhöfer Straße über den Reiher­stieg – hier aus südöstlicher Richtung gesehen. Zur Bauzeit war die Brücke „die größte und modernste Waage­balken­brücke in Europa“ (HusB 1999, S. 252). Auch die Vorgängerin war nicht die ursprüngliche Konstruktion: Die 1956 fertig­gestellte „stählerne Doppel­klapp­brücke“ (HusB 1969, S. 167) ersetzte die „Neuhof­brücke“ – eine imposante asymmetrische Dreh­brücke aus preußischer Zeit. Sie ging am 26. März 1901 in Betrieb (Melhop 1925, S. 143). Also konnten sämtliche drei Brücken an diesem Ort auch größere Schiffe durchlassen, doch waren alle drei von verschiedenem Bautyp.

Die Reiherstieg-Klappbrücke erfüllt eine wichtige Aufgabe, denn sie verbindet Wilhelmsburg mit dem Industriegebiet „Neuhof“ und danach über die Köhlbrandbrücke mit Waltershof und der Autobahn A7.

Jetzt wird's farbig.

Die leerstehende Schiffbauhalle der ehemaligen Oelkers Werft zwischen Neuhöfer Damm und Reiherstieg. Sie wurde 1970 eingeweiht und war bis 1991 in Betrieb.

Von innen und teilweise auch von außen sind die Hallenwände mit großen und kleinen Graffiti dekoriert.

Blick durch die Halle, über den Reiherstieg auf das Containerdepot an der Witts Weide.

Ich lese „DIRECTION“. Einem der Graffiti-Szene komplett Außenstehenden wie mir stellen sich verschiedene Fragen: Warum wurde diese abgelegene Halle ausgewählt, die, abgesehen von Besuchern zweier Musikveranstaltungen im Sommer, kaum jemand zu Gesicht bekommt? Und warum werden die Graffiti schon nach wenigen Wochen durch Neugrundieren der Flächen wieder entfernt?

Dieselbe Wand vom vorhergehenden Foto zwei Monate später mit einem neuen Werk. Das Bildnis eines Sprayers zeugt von einem erfrischenden Humor und vielleicht auch von einer feinen Selbst­ironie (ich weiß ja nicht, wer dargestellt ist): Die Anonymität des Sprayers wird nicht durch Maske und Kapuze, sondern durch einen tief herunter­gezogenen, zu großen und noch etwas steifen Räuber- oder Rumpel­stilzchen­hut dargestellt, unter dem lange graue Haare, ein Bart und eine rauchende Pfeife zum Vorschein kommen.

Und ja – was bedeutet das schlanke, ebenfalls sehr gelungene Portrait mit den aufgeblähten Backen rechts an der Säule? Vielleicht ein (anerkennender) Kommentar eines anderen Künstlers? (Wahrscheinlich lachen sich Insider tot angesichts meiner Interpretationsversuche.)

Woher stammen eigentlich Form, Bedeutung und Darstellungs­weise dieses Hutes? Er scheint mir vertraut, aber seine Herkunft will mir nicht so recht in den Sinn kommen. Hier ein paar ikono­gra­phi­sche Schnipsel aus vergangenen Jahrhunderten: Hohe und breit­krempige Hüte waren bereits im 16. und 17. Jahrhundert in Mode und wurden u. a. von Schützen und Wach­leuten getragen – z. B. in der „Nachtwache“ von Rembrandt van Rijn. Besonders schöne Darstellungen ähnlicher Hüte sind auf der Zeichnung von Crispin de Passe dem Älteren von den Verschwörern des Gunpowder Plots zu sehen. Viel später finden sich die Hüte mit schlankerer Spitze bei der kind­gerechten Darstellung von Räubern, Zwergen, aber auch auf dem Kopf der Märchen­figur „Rumpelstilzchen“ wieder. In einer solchen Weise illustrierte der Zeichner Franz Josef Tripp in den 1960er-Jahren das Kinderbuch „Der Räuber Hotzenplotz“ von Otfried Preußler. Noch höher und spitzer thronte der Hut schließlich ab den späten 70er-Jahren auf den Köpfen der „Anarcho-Zwerge“ des Comicautors Gerhard Seyfried.

Das gesamte Graffito: Wer genau hinschaut, erkennt den Schriftzug „KIDS“. Bemerkenswert ist bereits die Grundierung: Ein Pedant wie ich würde sauber bis in die letzten Winkel streichen. Hier aber sind in malerischer Manier Spuren der voran­gegangenen Ausführungen an den Rändern stehen geblieben. Das mit Unachtsamkeit zu begründen, wäre sicherlich nicht angemessen, angesichts der aufwändigen Ausarbeitung des Graffito. Vielmehr bildet diese flüchtig wirkende Grundierung einen bildnerischen Kontrast zur sorgsam ausgeführten Grafik und unterstützt die Anmutung einer gewissen Leichtigkeit des Gesamt­werks. (Das klingt wie eine Kunst­betrachtung im Fernseh-Kulturkanal.) In dem Graffito sehe ich drei Haupt­elemente: Die gelungene Darstellung des frei in der Luft sprudelnden Wassers im Hinter­grund, den eigentlichen Schriftzug, wie aus spiegelndem Chrom, und das stilsicher gezeichnete Männchen, irgendwo zwischen Kinder­buch­illustration, Comic und Werbegrafik. Der kleine Sprayer mit dem großen Hut holt die ein wenig abgehobene bizarr-dramatische Darstellung von Wasser und Schrift in fröhlicher Weise vom imaginären Podest herunter in die Realität.

Ein Vergleich von üblichem „Style-Writing“ (Graffiti mit Buchstaben und anderen Zeichen als Hauptelemente) mit Werken von Banksy, dem britischen Star unter den Street-Artisten ist unfair, da Banksy etwas ganz anderes macht(e), folgt jetzt aber trotzdem: Die Streetart von Banksy kommt meist mit ganz reduzierten stilistischen Mitteln aus, ist ortsbezogen, inhaltlich und gestalterisch treffsicher, übermittelt gesellschaftliche oder politische Botschaften und ist darüber hinaus fast immer mit einem subversiven Humor durchtränkt. Dagegen hat durch­schnitt­liches opulent-plakatives Style-Writing an Wänden, S-Bahnen und anderswo in meinen Augen mehr mit der Befriedigung egomanischer Bedürfnisse zu tun, wenngleich manchmal auch mit künstlerischer Ambition. Trotz der Kritik: Handwerkliches Können in hohem Maße sowie eine gereifte gestalterische und auch künstlerische Qualität lässt sich gut gemachter Graffiti auf keinem Fall absprechen und vor Künstlern, wie die der KIDS-Crew, die das hier Abgebildete zustande gebracht haben, ziehe ich meinen Hut ganz tief.

Leider währte die Chance, diese Arbeit im Original zu genießen, nicht lange: Wenige Tage nach meinem Besuch war das Graffito mit Kritzeleien übersprüht. (Es kann sein, dass ich den Übeltäter noch gesehen habe.) Da von den vielen Graffiti in der Halle nur dieses eine zerstört wurde, handelte es sich offenbar um eine gezielte Aktion, deren Hintergrund mir natürlich unbekannt ist. Bis vor kurzem glaubte ich nicht, dass mir so etwas wirklich leid tun kann. Zwar werden die Graffiti in der Regel von ihren Erzeugern fotografisch dokumentiert, aber selbst ein gutes Dokumen­tations­foto kann niemals ein solch gelungenes Original im passenden Ambiente ersetzen.

Geräumte Hallen üben selbst dann eine gewisse Magie aus, wenn alle Relikte der früheren Nutzung beseitigt sind. Ein mitgehörter Ausruf eines vorbeiradelnden Fahrradfahrers an seinen ebenfalls radfahrenden Begleiter: „Hier – das ist diese geile Halle!“.

Im diffusen Licht des von der Abendsonne angestrahlten Milchglases unter der Hallendecke: Anhand der Türöffnung links unten lassen sich die Abmessungen der Graffiti abschätzen.

Auch das Antriebsaggregat des nicht mehr vorhandenen Hallentores hat Farbe bekommen.

Grußbotschaft an der Wand.

Die Schiffbauhalle vom Reiherstieg gesehen.

Auch hier hat sich im Laufe des Sommers etwas verändert: Mit Reisig und Stangenholz, das zum Teil in der Halle lagert, wird draußen, auf dem zum Reiherstieg leicht abschüssigen Hang eine riesige Matte gebunden, deren Zweck mir unbekannt ist.

Ein Rest natürlichen Ufers vom Reiherstieg in der Nähe der Halle.

Das Baggerschiff „Otto Stockhausen“ am frühen Morgen auf dem Reiherstieg. Am Heck befindet sich ein absenkbares Geschirr, das den am Boden festsitzenden Hafenschlick löst, so dass er mit der nächsten Ebbe fortgespült wird. Nebenbei bemerkt: Otto Stockhausen war 1907 als leitender Ingenieur mit dem Bau des (alten) Elbtunnels betraut.

Im Sommer geschieht Sonderliches im Uferpark am Zusammen­fluss von Rethe und Reiher­stieg: Hohe Zäune versperren die Fußwege. Mobile Toiletten, Verköstigungs­buden und Bühnen sind aufgestellt. Für die Festivals „MS Dockville“, „Soul im Hafen“ und weitere Veranstaltungen wird der Park mit Blick auf die Rethe­speicher zum Treffpunkt von Musikfans. Mit MS Dockville begann die inzwischen allsommerliche Tradition im August 2007. Ursprünglich fand das Festival im Rahmen der Vorbereitungen zur Internationalen Bauausstellung (IBA) statt. Damals hieß es im nüchternen und auch ein wenig entlarvenden Marketingjargon: „Mit viel Musik und Kunst soll Wilhelmsburg als aufsteigender Stadtteil positioniert werden." (Die Welt, 18.08.2007).

Teppichverkauf in der Speicherstadt oder Bühnenbelag für eine Soulsängerin?

Weder die pittoreske Hafenkulisse noch die Abenddämmerung können in diesem Moment die Aufmerksamkeit der Besucher des Festivals „Soul im Hafen“ auf sich ziehen, denn …

… die britische Soulsängerin Joss Stone kniet auf der mit Teppichen ausgelegten große Dockville-Bühne – barfuß und beleuchtet vom nur noch schwachen Licht der tief stehenden Sonne (die sich gerade bequemt, rechts neben der alten Rethebrücke unterzugehen).

Später am Abend: Der Hauptact im Display eines digitalen Auges.

In diesem Augenblick kaum vorstellbar, aber in Kürze wird es am Reiherstiegknie wieder einsam und leise sein – bis zur Festival-Saison im nächsten Sommer.

Wenige Tage später: Hinten stand die große Dockville-Bühne. Die Zäune sind beseitigt, der Müll entfernt und der Boden geharkt. Aber der Rhythmus nimmt seinen Lauf: Im nächsten Frühjahr breitet sich auf der Veranstaltungsfläche im Uferpark eine bunte Wiese aus, die im Sommer erneut zertrampelt wird. Übrigens ist auf dem Foto zu erkennen, dass der Uferpark trotz seiner Höhe im Außendeichbereich liegt und bei schwerer Sturmflut unter Wasser stehen kann. Hinten, am Rand des Feldes, verläuft der Deich, der die Elbinsel Wilhelmsburg notfalls vor dem Wasser schützt.

Schornsteine des Kohlekraftwerks Moorburg

Die beiden 137,5 Meter hohen Schornsteine des fast fertiggestellten Kohlekraftwerks Moorburg sowie Abspannmast mit 380-kV-Leitungen.

Die Kaistrecke des Kraftwerks an der Süderelbe.

Zwei Portalkrane schaufeln Kohle aus dem Massengutfrachter Stellae Mare. Die Kuppel auf der rechten Seite gehört zu einem der beiden Kohlekreislager des Kraftwerks, in dem die Kohle zwischengelagert wird. Beobachtet von der Kattwykbrücke.

Kattwykbrücke

Die 1973 in Betrieb genommene Kattwykbrücke ist eine Hubbrücke über die Süderelbe, zwischen Moorburg im Westen und der Elbinsel Hohe Schaar im Osten. Blick in Richtung Hohe Schaar: Straßenfahrzeuge und Eisenbahn teilen sich den Weg.

Binnenschiff

Ein Binnenschiff nähert sich der Kattwykbrücke. Rechts das Kraftwerk.

Hier ist alles vertikal: Freileitungsmasten zur Überführung der Stromleitungen über die Rethe, die alte Rethe-Hubbrücke, Mobilfunkmast, Lichtmasten für die Gleisanlagen sowie Getreidespeicher. Links im Vordergrund die Straßenrampe für die neue, im Bau befindliche Rethe-Klappbrücke.

Fußweg über die alte Rethe-Hubbrücke. Rechts die beiden südlichen Klappen der neuen Rethe-Klappbrücke, getrennt für Straßen- und Bahnverkehr.

Speicherkomplex am „Blumensand“, am Südufer der Rethe.

Auf der alten Rethe-Hubbrücke sind die Verkehrswege getrennt, aber unmittelbar nördlich der Brücke kreuzt das Gleis der Hafenbahn die Straße.

Nach oben ragende Elemente der alten und der neuen Brücke aus einem nahen Brombeerdickicht gesehen. (Sie sind einfach zu lecker – die Brombeeren.)

Freileitungsmast nahe der Rethebrücke, mit besonderer Höhe, weil unter den hängenden Leitungen auch Seeschiffe fahren. Gern hätte ich ein Foto von innen nach oben gemacht, aber den Zugang hätte ich mir mit einer Machete erkämpfen müssen, denn dort drin wächst ein besonders biestiges Brombeergestrüpp.

MS Dockville 2015

Beduinenlager am Reiherstieg?

Reiherstieg

Ach was – ein Jahr ist vergangen und das MS Dockville tobt am Uferpark und in seiner Umgebung.

MS Dockville 2015

Mit der untergehenden Sonne im Rücken: Blick von der alten Rethe-Hubbrücke (die entgegen der ursprünglichen Planung immer noch steht) auf zwei Festival-Bühnen im Uferpark. (Wie viele Festival-Besucher machen wohl in diesen Minuten einen Instagram-Schnappschuss in die Gegenrichtung – von der untergehenden Sonne rechts neben der alten Rethe-Hubbrücke?)

Hinweis auf den Bahnverkehr über die alte Rethe-Hubbrücke.

Ein eigenartiges Rasseln und Quietschen, zuerst aus der Ferne kommend, dann auf einmal lauter und klarer werdend und die Bässe vom MS Dockville übertönend, macht mich neugierig.

Mit kaum mehr als Schrittgeschwindigkeit schiebt sich der Zug mit den Tankwagen über die alte Brücke.

Doch der Zugverkehr über die alten Gleise ist gezählt, denn die beiden neuen Rethe-Klappbrücken für Straßen- und Eisenbahnverkehr, unmittelbar neben der alten Hubbrücke, sind bald fertig. Seit August 2014 ist die Fahrspur der Rethe-Hubbrücke eingeschränkt und kann nur noch einspurig in Richtung Süden befahren werden, denn die alte Stahlkonstruktion ist der normalen Belastung durch den Straßenverkehr nicht mehr gewachsen.

Früh morgens an der Einmündung der Rethe in den Reiherstieg.

Die 1934 gebaute Rethe-Hubbrücke.

Blick durch die Rethe-Hubbrücke auf die Rethespeicher.

Der südliche etwa 50 Meter hohe Hubturm der Brücke.

Industriekultur an Rethe und Reiherstieg.

Der Rethespeicher (GHT = Getreide Terminal Hamburg) vom südlichen Ende der Rethe-Hubbrücke gesehen. Im Vordergrund das Gleis der Hafenbahn, das über die Brücke führt.

Die Hohe-Schaar-Straße und der nördliche Teil des Bahnhofs Hohe Schaar. Im Hintergrund links die alte Rethe-Hubbrücke und rechts davon der Rethespeicher „von hinten“.

Gleise der Hafenbahn auf der Elbinsel Hohe Schaar bei der Straße Eversween.

Furcht und Schrecken kann dieses verschmutzte Warnschild am Eversween heutzutage nicht mehr einflößen. Aber schön, dass es die alten Darstellungen noch gibt.

Früher gehörte dieser Bereich der Hohen Schaar zum „Langen Morgen“. Auf frühen Elbkarten ist der Lange Morgen als eigenständige Flussinsel eingezeichnet. Aber der Wasserlauf zwischen den Inseln verlandete, und spätestens im 17. Jahrhundert trennte den Langen Morgen nur noch ein schmaler Priel – der Ever Schween – von der Hohen Schaar.

Die Rethespeicher aus Kaninchen-Sicht.

Auf dieser Seite heben sich die beiden ältesten Gebäudeteile der Rethespeicher – die mit den spitzen Giebeln – besonders deutlich ab. Das Backsteingebäude ganz rechts steht in Wirklichkeit isoliert östlich von dem größeren Komplex. (Die Kameraperspektive zieht die Distanzen zusammen.)

Der Name der Straße „Eversween“ kommt von einem früheren Seitenarm der Elbe, der gegen 1900 aber nur noch aus einem schmalen Wasserlauf, eine Art Priel bestand, der die eigentliche Elbinsel Hohe Schaar von dem nicht eingedeichten Vorland des Reiherstiegs, vom „Langen Morgen“ trennte. Der Wasserlauf hieß zuletzt „Ever Schween“, mündete im Süden in den Reiherstieg und ging im Norden in die Rethe über (in gewisser Weise war er die Verlängerung der nach Süden hin immer schmaler werdende Rethe).

Die Herkunft des Namens „Ever Schween“ ist spannend. Frühere Namensvarianten lauteten „Evert Swenfleth“ (siehe Gaedechens' Topographie von 1880) und „Evert Schwenfleht“ (Karte der Elbinseln von Major v. Varendorf von 1790). Am anderen Ufer des Reiherstiegs, gegenüber vom Langen Morgen, lag die „Harburger Schweineweide“. Ein früherer Name des Reiherstiegs in diesem Bereich – „Zwischen den Weiden“ – deutet auf eine ähnliche Nutzung der Grasflächen auf beiden Seiten des Wasserlaufes hin und legt nahe, dass mit dem mittleren Namensbestandteil von „Evert Swenfleth“ das Schwein gemeint ist.

Der erste Namensbestandteil „Ever“ oder „Evert“ ist wahrscheinlich auf den „Eber“, das männliche Hausschwein, zurückzuführen. Es könnte sich um die Weide eines Hofes gehandelt haben, der schon seit Generationen Schweine hielt, so dass das Tier Namensgeber des Landwirts wurde. „Evert Swenfleth“ wäre demnach der Fleet (früher die Bezeichnung eines natürlichen Wasserlaufs), an dem die Schweine von Bauer Evert weiden. Vielleicht ist Eversween aber nur eine Art Tautologie und heißt einfach „Eberschwein“. Diese Bezeichnung scheint nicht ungewöhnlich gewesen zu sein, denn das Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm kennt den Begriff Eberschwein und führt Beispiele von niemand Geringeren als Hans Sachs und Martin Luther an.

Die „Landseite“ der Rethespeicher.

Wie eine große Raubkatze, die durchs Unterholz schleicht. Beobachtet im südlichen Bereich der Hohen Schaar.

Beweisen kann ich es nicht mehr, aber kurz vor dieser Aufnahme trottete ein Fuchs die über Straße – wahrscheinlich ein junger. Leider habe ich zwei Sekunden zu lange gebraucht, um zu begreifen was da den Weg quert, so dass es schließlich für ein Foto zu spät war.

Eine Öffnung der Sperrschleusen am unteren Ende des Reiherstiegs.

In der südlichen Hälfte des Reiherstiegs begegnen sich Binnenschiffe, Seeschiffe und Freizeitboote.

Das Südportal der Alten Harburger Elbbrücke.

Am 30. September 1899 wurde die Alte Harburger Elbbrücke von Kaiser Wilhelm II. eröffnet.

Der Entwurf der Brücke basierte auf einen 1896 ausgeschiebenen Wettbewerb.

Gegenüber der Ende des 19. Jahrhunderts gebauten Alten Harburger Elbbrücke wirkt die zwischen 1935 und 1937 gebaute Neue Harburger Elbbrücke (rechts) recht modern.

Blick von der alten zur neuen Brücke. Im Juni 1964, am ersten Jahrestag des „Volksaufstandes“ in der DDR wurde die Neue Harburger Elbbrücke in „Brücke des 17. Juni“ umbenannt. (HA 03.04.1964, S. 1)

Der Reiherstieg mündet nur wenige hundert Meter entfernt in die Süderelbe und trägt seinen Namen nicht ohne Grund.

Bei der Ausschreibung für den Bau der Alten Harburger Elbbrücke äußerte man den Wunsch nach Harmonie mit der Umgebung. Die Deutsche Bauzeitung berichtete, die Hauptträger-Systeme dürfen "in Form und Abmessung keinen auffallenden Gegensatz zu der etwa 240 m unterhalb liegenden bestehenden Eisenbahnbrücke bilden, müssen in die Landschaft passen und im äusseren Aussehen, der allgemeinen Linienführung usw, befriedigen". (DBz, 30. Jg. 1896, S. 548)

Schattenwurf der Alten Harburger Elbbrücke auf der Brücke des 17. Juni.

Ein wohltemperierter Sommertag kündigt sich an: In der Lämmertwiete stellt man sich auf die ersten Frühstücksgäste ein (während ich bereits einen Fußweg über die gesamte Wilhelmsburger Elbinsel – von St. Pauli bis Harburg – hinter mir habe, ohne Frühstück aber mit Brombeeren).

Zwölf Stunden später, in der Abenddämmerung aus dem Gebüsch unter der Brücke des 17. Juni: Blick auf das Nordportal der Alten Harburger Elbbrücke.

Der schlickige Boden am Elbufer unter den Brücken wird bei jedem (normalen) Hochwasser überflutet. Ein einziger falscher Tritt und die Schuhe müssen geputzt werden.

Ein Fragment des ursprünglichen Geländers der Alten Harburger Elbbrücke.

Ein Graffito an der Brücke des 17. Juni. Hier erkannt man, dass die Stahlelemente mit alter Technik verbunden sind. Die Stahlnieten machen angesichts des insgesamt modernen Erscheinungsbildes der Brücke einen altertümlichen Eindruck.

Die Süderelbe biegt sich flussabwärts in nordwestliche Richtung und wird dort zum Köhlbrand. Links unterhalb der Sonne liegen die beiden Kohlekreislager des Kraftwerks Moorburg, rechts der Schornstein des Kraftwerks.

Blick von der Brücke des 17. Juni durch die Bogen der Alten Harburger Elbbrücke. Da am Kraftwerk Moorburg die Lichter brennen, sind zwei der in großen Kurven geführten Transportbänder für die Kohle zu erkennen.

An der Alten Harburger Elbbrücke brennt noch nichts.

Doch, jetzt!.

Hauptsache, man wird im Dunkeln, flach auf dem immer noch sonnenwarmen Asphalt liegend, nicht von Radfahrern überrollt.

Wie ein Requisit einer Film­kulisse aus den 30er-Jahren.

Tropenfeeling in Hamburg-Harburg neben Hafenkranen und Strommasten bei sommer­abend­lichen 24° C (während die Mitte und der Süden Deutschlands seit Tagen zugeregnet wird). Zwei Leute kommen vorbei und merken an, mein Blitzlicht habe nicht ausgelöst – das sind vermutlich diejenigen, die auch Feuer­werke, Regenbogen, Sonnen­finster­nisse und Nordlichter mit Blitz­licht fotografieren.

 
 
Abkürzungen bei Quellenangaben:
DBz Deutsche Bauzeitung.
HA Hamburger Abendblatt.
HusB 1953 Architekten- und Ingenieur-Verein Hamburg e.V. (Hrsg.): Hamburg und seine Bauten 1929–1953. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1953.
HusB 1969 Architekten- und Ingenieur-Verein Hamburg e.V. (Hrsg.): Hamburg und seine Bauten 1954–1968. Hammonia-Verlag GmbH Verlag, Hamburg 1969.
HusB 1999 Architekten- und Ingenieur-Verein Hamburg e.V. in Zusammenarbeit mit dem Hamburgischen Architekturarchiv (Hrsg.): Hamburg und seine Bauten 1985–2000. Dölling und Galitz Verlag, Hamburg 1999.
Melhop 1925 Wilhelm Melhop: Historische Topographie der Freien und Hansestadt Hamburg von 1895-1920. Mit Nachträgen bis 1924. Band 2. Otto Meißners Verlag, Hamburg 1925.
Menge/Gehrkens 1906 Gemeinderat Wilhelmsburg (Hrsg.): Die preussische Elbinsel Wilhelmsburg und ihre industrielle Entwicklung. Bearbeitet von dem Gemeindevorsteher Adolf Menge und dem Beigeordneten Albertus Gehrkens im März 1906.
Reinstorf 1916 Ernst Reinstorf: Die Eindeichung der Insel Wilhelmsburg. Auf Grund der Quellen. Zweite erweiterte Auflage. Verlag von A. J. Schüthe, Wilhelmsburg 1916.
Reinstorf 1955 Ernst Reinstorf: Geschichte der Elbinsel Wilhelmsburg von Urbeginn bis zur Jetztzeit. Verlag Buchhaus Wilhelmsburg Georg Romanowski, Hamburg 1955.
 
 

Websites, auf die ich bei meiner Recherche gestoßen bin:

Museum Elbinsel Wilhelmsburg e. V.:
www.museum-wilhelmsburg.de

Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg & Hafen:
www.geschichtswerkstatt-wilhelmsburg.de

Nachrichten aus Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur in Wilhelmsburg:
www.wilhelmsburgonline.de

Website des Vereins Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg e. V.:
zukunft-elbinsel.de

Mit Interesse und Vergnügen bin ich durch Alt-Wilhelmsburg geschlendert:
www.alt-wilhelmsburg.de

 
 
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