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Das Rauschen

„… Und die Erde war wüst und leer …“ Die Schöpfungsmythen beginnen mit der gähnenden Leere oder, so die griechische Mythologie, mit dem ungeformten, strukturlosen Urstoff - dem „Chaos“ (gr. χάος, cháos). Das Wort ist im Griechischen verwandt mit dem lautnachahmend entstandenen „gähnen“ (gr. cháskein), dem heiserer Ausfauchen von Atem. Tatsächlich vermag diese warme Luft im aufgerissenen Rachen als Sinnbild für den Dualismus „absolute Leere“ - „allgegenwärtiger Urstoff“ dienen. Im Alltag erscheint uns die Luft als kaum existent, obwohl sie aus einem dichten Schwarm von Atomen und Molekülen besteht, die den gesamten Raum ausfüllen, in dem wir uns bewegen. Je wärmer, desto schneller bewegen sich die winzigen Teilchen. Sie stoßen ständig aneinander und beschreiben unregelmäßige Zickzackbahnen: die Brown'sche Molekularbewegung. In diesem Getümmel löst sich eine anfängliche Ordnung – z. B. ein Rauchwirbel – auf und geht immer mehr in den Zustand der absoluten Unordnung über. Aber andersherum betrachtet birgt diese Masse, so wie der unbearbeitete Stein des Bildhauers, auch alle denkbaren materiellen Ausformungen in sich. Übrigens: das Wort „Gas“ ist von „Chaos“ abgeleitet.

Ähnlich zittrig wie die Gasmoleküle bewegen sich auch die Elektronen im fließenden elektrischen Strom. Bedingt durch die thermische Bewegung kollidieren sie (modellhaft gesehen) ständig mit den atomaren Strukturen des elektrischen Leiters und bewegen sich nur unregelmäßig gegen die Stromrichtung. (Dagegen, weil sie negativ geladen sind.) So kommt es, dass der elektrische Strom nie absolut konstant fließt, sondern in geringem Maß von unregelmäßigen schnellen Sprüngen überlagert wird. In älteren Audiogeräten (Radios, Plattenspieler) äußert sich das durch ein leises Rauschen, das die HiFi-Hersteller bewogen hat, sich viele Tricks einfallen zu lassen, um es zu unterdrücken. Aber natürlich lässt sich das Rauschen auch gezielt verstärken, so dass es richtig laut wird. Von „weißem“ Rauschen spricht man in Analogie zum Licht, wenn alle (theoretisch unendlich viele) Frequenzen des hörbaren Spektrums mit ähnlicher Amplitude vorhanden sind. Aus einem solchen Rauschen lassen sich mit elektronischen Filtern beliebige Frequenzbereiche isolieren, „gefärbte“ Geräusche (z. B. „rosa“ Rauschen oder „blaues“ Rauschen), Töne oder sogar Klänge extrahieren. So wie der unbearbeitete Stein des Bildhauers jede Form umschließt, ist akustisches weißes Rauschen die Summe aller Schallschwingungen: ein „Chaos“ - ein strukturloses akustisches Grundmaterial.

Das akustische Rauschen und der Zufall (der z. B. auf elektrischem Rauschen basieren kann) sind immer wiederkehrende Elemente in meiner künstlerischen Arbeit. Mich interessieren dabei besonders die unvorhersehbaren Strukturen, die „Erfindungen“ des Zufalls, die, bedingt durch die technische Umgebung, in einem vorgegebenen Rahmen zur Artikulation kommen.